Chen Lu ist heute früh aufgestanden – es wird ein harter Tag. Der weiße Tee ist ausgetrieben und muss innerhalb weniger Tage geerntet werden. Chen Lu ist eine von ca. 50 TeepflückerInnen, die heute im Bio Teegarten von Wenshan bei Fuding Ihre Arbeit verrichten werden. Chen Lu verdient 45 USD pro Tag. Sie ist eine hochgradig qualifizierte Teepflückerin, die sich unter anderem auf den biologisch angebauten weißen Tee und diverse Oolong Tee Sorten spezialisiert hat. Ihr Arbeitgeber stellt Ihr zusätzlich eine solide Unterkunft, sorgt für ausreichend Mahlzeiten und zahlt sogar 2x pro Saison die Zugtickets in Ihr Heimatdorf. Chen Lu arbeitet nicht nur als Teepflückerin, sondern wird in den nächsten Tagen auch bei der Trocknung, Auslese und Verarbeitung des Tees mitarbeiten. Dabei ist stets absolute Präzision gefragt. Es dürfen nur ganz jung ausgetriebene Spitzen mit einer exakten Größe von max. 2cm verarbeitet werden. Die Trocknungszeiten und Temperaturen sind minutiös einzuhalten, sonst steht die Ernte auf dem Spiel. In der Ernte-Saison verdient Chen Lu bis zu 800 € im Monat. Ein chinesischer Universitätsabsolvent startet seine berufliche Laufbahn dagegen mit einem Durchschnittsgehalt von ca. 500 €. Allerdings sind Chen Lu‘s Einkunftsmöglichkeiten bei der Teeernte saisonal beschränkt. Die Wintermonate verbringt Sie in Ihrem Heimatdorf. In dieser Zeit lebt sie von Ihrem Ersparten und von selbstangebauten Erzeugnissen aus Ihrem Obst- und Gemüsegarten.
Der schnelle Fortschritt Chinas hat die Löhne in nahezu allen Wirtschaftsbereichen über die letzten Jahre rapide ansteigen lassen. Die Teebauern in China haben Schwierigkeiten ausreichend TeepflückerInnen für die Teeernte zu finden. Der Job gilt vielen Chinesen als nicht mehr attraktiv, sie empfinden das Arbeiten an der frischen Luft als nicht mehr zeitgemäß. Die jungen Chinesen zieht es in die Städte. Sie suchen Ihr Glück in der dort angesiedelten Industrie. Dabei ist insbesondere bei der Teeernte und Teeverarbeitung von höherwertigen Teesorten sehr viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt. Die zahlreichen chinesischen Teebauern suchen Ihren Absatz mehr und mehr in den hochwertigen Teesorten. Vielfalt und Premium ist Trumpf. Das kommt auch den TeepflückerInnen zu Gute. Ihre Löhne sind in den letzten Jahren kräftig angestiegen. Tatsächlich verdienen erfahrene TeepfückerInnen in China und Taiwan ein Vielfaches gegenüber Ihren Kolleginnen in der übrigen Landwirtschaft. Dies hat sich erheblich auf die Teepreise ausgewirkt. Insbesondere die handarbeitsintensiven Teesorten – und dass sind fast alle höherwertigen Teesorten – haben sich erheblich verteuert. Unsere Einkaufspreise des weißen Tees haben sich beispielsweise in den letzten fünf Jahren verdreifacht.
Ganz anders und leider nicht so rosig sieht die Welt dagegen auf den großen Teeplantagen in z.B. Indien, Sri Lanka und Afrika aus. In diesen Regionen herrschen große Teeplantagen und Oligopole vor. Die Wirtschaft in diesen Anbauregionen ist häufig nur schwach entwickelt. Den TeepflückerInnen stehen nur wenige Alternativen zur Verfügung. Die Arbeitsbedingungen sind häufig sehr schlecht. Die Vergütung liegt hier je nach Anbauregion zwischen 1-3 Euro pro Tag.
Aus diesen armen Gegenden gibt es eine Reihe von Fair Trade Tee Projekten, die einen Beitrag zu besseren Arbeitsbedingungen leisten. Es gibt zwei weltweit aktive Dachorganisationen, die die Regeln für Fair Trade vorschreiben: FLO (Fair Labour Organisation) und WFTO (World Fair Trade Organisation). Die Grundsätze der Fair Trade Organisationen sind zwar etwas unterschiedlich, lassen sich aber im Wesentlichen auf die folgenden Aspekte subsummieren:
Leider finden sich nirgendswo Definitionen, was genau unter einem existenzsichernden Lohn zu verstehen ist. Die gesetzlichen Mindestlöhne in Indien, Sri Lanka und den afrikanischen Ländern werden unserem westlichen Verständnis nach fairem Handel sicherlich nicht gerecht. In Indien liegt dieser beispielweise bei gerade mal 1 € pro Tag. Praktisch liegen die Löhne für die TeepflückerInnen auf den Fair Trade Teeplantagen kaum höher als bei ihren Nicht-Fair-Trade-Tee-KollegInnen.
Fazit: Höherwertiger Tee ist von Haus aus fairer gehandelt als Billig- und Massenware. Die höher entwickelten Anbauländer wie China, Taiwan und Japan bieten deutlich fairere Arbeitsbedingungen. Allerdings sind gerade die strukturschwachen Länder auf unsere Einkäufe angewiesen. Bei den Fair Trade Tee Programmen heißt es genauer hinsehen, hinterfragen und nicht blind vertrauen!
Genussvolles Teetrinken wünscht das Teekenner-Team!
Christian Beck